Worum es geht
Auf Homepages, in Broschüren und Presseveröffentlichungen von Krankenhäusern finden sich unzählige Hinweise, wie wichtig den Verantwortlichen Patientenbeschwerden sind. Doch Patienten, die tatsächlich Kritik üben, erkennen schnell, dass die meisten Erklärungen nur ein Marketingargument sind. Doch es gibt eine Lösung: Umdenken.
Krankenhäuser sind verpflichtet, sich um Beschwerden zu kümmern
Die Fachpresse berichtete aktuell über die erneut abgeschlossene Selbstverpflichtung der Hamburger Kliniken für ein patientenzentriertes Beschwerdemanagement. Sie verfolgt das Ziel, kontinuierlichen Optimierungs-Prozesse in den Häusern zu induzieren und die Versorgungsqualität zu verbessern. Was vor dem Hintergrund dieser öffentlichkeitswirksamen Aktion fast schon wieder in Vergessenheit geraten ist: gemäß Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sind für Krankenhäuser Risikomanagement- und Fehlermeldesysteme verpflichtend vorgeschrieben. Hierzu zählt auch die Implementierung eines patientenorientierten Beschwerdemanagements. Es soll sicherstellen, dass alle Patienten über die Möglichkeit von Beschwerden aktiv informiert werden und im „Ernstfall“ eine zeitnahe Bearbeitung erfolgt.
Aber was geschieht mit der Patienten-Kritik an konkreten Sachverhalten und Verhaltensweisen tatsächlich?
Eine Exploration zu dieser Frage unter Ärzten und Mitarbeitern des Pflege-Personals erbrachte drei grundsätzliche Reaktionen:
- der kritisierende Patient wird als Nörgler und Querulant klassifiziert,
- die Kritik wird als Einzelfall abgetan und ignoriert oder
- man sucht einen Verantwortlichen, der zur Rechenschaft gezogen wird.
Nur in wenigen Einzelfällen wurde angeführt, dass man gerade das negative Patienten-Feedback systematisch sammelt, auswertet und als Ansatzpunkt für Verbesserungen oder Veränderungen nimmt.
Abwehr ist die beste Lösung?
Patienten, die sich beschweren, berichten darüber, dass die Reaktion des Personals i. d. R. eine sofortige Abwehr ist, häufig wird die Verantwortung auch noch auf den Patienten abgewälzt („…das ist nicht so…“, „…das sehen Sie falsch…“, „…das kommt nur), weil Sie…“.
Drei Gründe sind für diese Abwehr ohne Prüfung der Sachlage ursächlich:
- die Tagesroutine erfordert – gerade bei hoher Belegungs-Zahl – dass schnell gearbeitet werden muss, eine Diskussion über „Kleinigkeiten“ kommt hierbei als Störfaktor ganz ungelegen,
- Patienten werden von Mitarbeitern grundsätzlich nicht als umsichtig und kompetent erachtet,
- man versucht, von den eigenen Fehlern abzulenken.
Beziehungskiller, die die Patient Experience negativ beeinflussen
Klinik-Mitarbeiter, die so agieren, berücksichtigen nicht, dass derartige Erlebnisse die Gesamt-Zufriedenheit der Patienten bis zu 50% senken können. Niemand möchte herabgesetzt und zum Dummen gemacht werden. Äußerungen wie die o. a. werden nicht nur im Zuge einer negativen Mund-zu-Mund-Propaganda an Dritte weitergetragen, sondern sind „Beziehungskiller“, deren negative Wirkung aus dem krassen Gegensatz von Patient Experience und der auf Websites und Prospekten dargestellten Patientenorientierung resultiert.
Das Glas als halbvoll betrachten
Mit ihrer Beschwerde-Behandlung unterscheiden sich Kliniken nicht von anderen Bereichen des Gesundheitswesens, Kritik stört und ist negativ-emotional belastet, ihr Nutzen wird kaum gesehen. Doch gerade in einer Zeit, in der die Verbreitung von Bewertungen über das Internet immer mehr zunimmt und eine negative Meinung tausendfache Beachtung finden kann, ist es dringend notwendig, den Fokus auf das Best Practice-Potenzial von Beschwerden zu legen und den Umgang mit Patientenkritik zu verändern, denn hiervon profitieren alle Beteiligten.
Das Beschwerdemanagement muss professionalisiert werden
Grundsätzlich bedarf es eines Turnarounds des gegenwärtig falschen klinikinternen Umgangs mit Beschwerden:
(1) Personalisierung
Bei Beschwerden steht nicht die Frage im Vordergrund, was hierfür verantwortlich war, sondern wer. Es wird nach Schuldigen gesucht, nicht nach Fehlerursachen und ihrer Vermeidung.
(2) Emotionalisierung
Beschwerden werden als Versagen einer oder mehrerer Personen gesehen, die hierfür die volle Verantwortung tragen und – je nach Schwere des “Vergehens” – deshalb auch zumindest getadelt, besser bestraft werden müssen. Das Erschrecken über eine Beschwerde entlädt sich emotionalisiert in teilweise vollkommen überzogenen Strafaktionen, in die auch Beschwerde-unabhängige Aspekte der bisherigen Zusammenarbeit einfließen.
Beschwerden als akut unangenehmes Instrument der Optimierung
Natürlich ist jeder Mitarbeiter für seine Fehler selbst verantwortlich. Das in Kliniken hieran gekoppelte “Ahndungswesen” lässt jedoch kaum Spielraum für eine gute Beschwerdebehandlung. Diese kann erst erfolgen, wenn den Anlässen möglichst objektiv begegnet wird. Im Vordergrund steht zunächst die Wiederherstellung der Patientenzufriedenheit, danach die Beseitigung des Beschwerdegrundes. In der Regel handelt ja niemand bewusst fahrlässig oder mutwillig. Vielmehr sind häufig organisatorische Defizite, Ausbildungsmängel oder Überforderung für Beschwerden verantwortlich, Punkte also, für die der einzelne Mitarbeiter meist gar nicht direkt die Schuld trägt, sondern die auch im Verantwortungsbereich übergeordneter Ebenen oder der Zustände liegen. Gelingt es, einen Wandel im Denken zu erzielen und Beschwerden als ein akut unangenehmes Instrument der Optimierung zusehen, dürfte einer adäquaten Umsetzung der neuen Regelung nicht mehr viel im Wege stehen.
Weiterführende Informationen und Hilfestellungen zum Thema
Der Valetudo Check-up© „Patientenzufriedenheit Krankenhaus“. Zum Leistungsprofil und Unterlagen-Download…
©Klaus-Dieter Thill / IFABS
Diesen Beitrag zitieren
Thill, Klaus-Dieter: (Titel), IFABS: BENCHMARK!, (Publikations-Datum des Beitrags)
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