Digitalisierung der Arztpraxis: Bye bye Komfortzone

Worum es geht

Auf den immer noch geringen Digitalisierungs-Stand in Arztpraxen angesprochen führen niedergelassener Ärzte eine Reihe von Hinderungsgrund-Gründen an. Doch der Blick hinter die Kulissen offenbart die tatsächlichen Barrieren.

Berechtigte Einwände?

Haus- und Fachärzte klagen in Bezug auf die Transformation primär über eine unzureichend erprobte und funktionierende Technik, die zu Problemen und Mehrarbeit in den Betrieben führt. Ebenso vermissen viele eine eindeutige Digitalisierungs-Strategie für das Gesundheitswesen. Mit beiden Argumenten, ergänzt um datenschutzrechtliche Aspekte, rechtfertigen viele ihre zurückhaltende Einstellung.

Doch Tiefen-Interviews mit Haus- und Fachärzten zeigen, dass die wirklichen Gründe viel tiefer liegen:

Vom Monolog zur Diskussion

Internet-Medien, Wearables und Tracker fördern das Wissen der Patienten und liefern Informationen auch zu solchen Bereichen der Medizin, die bislang aus Sicht der Haus- und Fachärzte ihnen allein vorbehalten waren. Das führt zwangsläufig zu einer Veränderung der Patienten-Anforderungen an die Mediziner und zu einer sich verändernden Grundhaltung im Arztgespräch, weg von der „monologisierenden An- und Verordnung“ der Vergangenheit hin zu einem Beratungs-Kontakt „auf Augenhöhe“. Das wird von Ärzten als Kompetenz-Verlust empfunden, den sie ungern akzeptieren und lieber vermeiden möchten.

Von der Routine zum Management

Die Transformation erfordert Veränderungen der Arbeit in Arztpraxen, denn sie ersetzt nicht – wie vielfach angenommen – bestehendes Analoges durch Digitales, sondern führt zu neuen Strukturen und Prozessen. Dadurch werden niedergelassene Ärzte gezwungen, ihre etablierten Routinen zu verlassen und den Wandel ihrer Betriebe aktiv zu managen. Diese Aufgabe ist den meisten jedoch bislang fremd, vielen fehlt die Fähigkeit, hierzu, aber auch die Bereitschaft zum Verlassen der gegenwärtigen Komfortzone.

Vom Mediziner zum Arzt-Unternehmer

Die Vielfalt der digitalen Möglichkeiten erfordert es, über die für alle Betriebe verbindlichen Maßnahmen für jede Praxis individuell zu bestimmen, welche Ansätze und Alternativen genutzt werden sollen. Dabei sind nicht nur kurzfristige Aspekte der Implementierung und des Einsatzes zu beachten, sondern es müssen auch Entwicklungs-Perspektiven generiert werden. Doch nur die wenigsten Ärzte sind mit strategischem Denken vertraut, da sie sich nicht als Unternehmer sehen, sondern als Mediziner mit einem „zeitlosen Auftrag“. Hinzu kommt, dass die Veränderungen, denen sich die Ärzteschaft bislang ausgesetzt sah, in Form von „Kollektiv-Projekten“ erfolgten (z. B. QM oder der Medikationsplan), die durch klare Handlungsanweisungen und lange Übergangszeiten geprägt waren. Die Digitalisierung hat hiermit – abgesehen von Basis-Projekten wie TI und ePA – nichts zu tun, es gibt keine Vorgaben oder Orientierungsgrößen. Das stellt Haus- und Fachärzte vor eine vollkommen neue Situation und erfordert ein betriebswirtschaftlich ausgerichtetes Denken, von dem sich die meisten bislang distanziert haben.

Praxismanagement-Insuffizienz und Digitalisierung

Ein zusätzlicher, in diesem Zusammenhang zu berücksichtigender Aspekt ist, dass Digitalisierungs-Projekte ohne ein reibungslos funktionierendes Praxismanagement nur schwer implementierter sind und auch in ihrer Wirkung nur zu geringen Nutzen-Effekten führen. Detaillierte Informationen zu diesem Zusammenhang beschreibt das White Paper: „Die Auswirkungen der Praxismanagement-Insuffizienz auf die Digitalisierung von Haus- und Facharztpraxen“.