Worum es geht
Eine professionell entwickelte und im Arbeitsalltag konsequent umgesetzte Unternehmenskultur ist ein zentraler Erfolgsfaktor für jegliche betriebliche Betätigung. Das betrifft natürlich auch die ambulante medizinische Patientenversorgung, doch hier besteht Nachholbedarf.
Das Wesen der Unternehmenskultur
Der Begriff „Unternehmenskultur“ beschreibt eine inner- und außerbetrieblich wirkende Grundhaltung, die sich aus den Werten, Standards und Ansichten zusammensetzt, die die Entscheidungen, die Arbeitsweisen und das Verhalten der Mitarbeiter eines Unternehmens bestimmen. Die Kultur ummantelt mit ihrer Handlungsrelevanz und Signal- bzw. Imagewirkung die vorhandenen Kompetenzen, Ressourcen, Strukturen und das Management der Prozesse.
Jedes Unternehmen – unabhängig von seinem Tätigkeits-Zweck und seiner Größe – besitzt aus sich heraus eine Unternehmenskultur, also auch Arztpraxen. Sie stellt allerdings erst dann auch einen Erfolgsfaktor dar und unterstützt das Erreichen der Unternehmensziele, wenn sie
- das Ergebnis einer strategischen Planung ist,
- die Belegschaft in den Aufbau und die Entwicklung des Konzeptes einbezogen wird und eine breite Akzeptanz gesichert ist,
- einen handlungsverbindlichen und alltagstauglichen Charakter hat,
- sich am Best Practice-Standard im Sinne eine proaktiv-zeitgemäßen, agilen und partizipativ-integrierenden Ausrichtung orientiert und wenn
- zwischen der geplanten und der praktizierten Kultur keine Differenzen bestehen.
Wie ausgeprägt ist die Unternehmenskultur in deutschen Arztpraxen?
Bittet man Medizinische Fachangestellte, die Umsetzung der Parameter des Best Practice-Standards der Unternehmenskultur für ihre Praxisbetriebe zu bewerten, so ergibt sich für den Key Performance Indikator „Corporate Culture Quality Score“ (CQS) ein Durchschnittswert – über alle Fachgruppen und Praxisgrößen betrachtet – von 34,7%. Dieser aktuelle Umsetzungs-Status der Praxiskultur ist die Verifizierung der immer wieder geäußerten Vermutungen und Einzelbeobachtungen, dass das Thema „Praxiskultur“ für viele Praxisinhaber kaum eine Bedeutung besitzt. Zum Vergleich: der CQS von Zahnarztpraxen liegt bei 65%.

Einem Teil der Ärzteschaft ist die Bedeutung der Praxiskultur dabei gar nicht bewusst, da betriebswirtschaftliche Sachverhalte in der Mediziner-Ausbildung kaum vertreten sind. Andere betrachten die Patientenbetreuung als Leitlinie ihres Handelns, aus der sich alles Übrige von selbst ergibt. Und Dritte lehnen eine Beschäftigung mit den Konzepten und Instrumenten der Angewandten Betriebswirtschaftslehre grundsätzlich ab, da sich für sie Medizin und Ökonomie nicht vertragen.
Unabhängig von der Ursache ist jedoch festzuhalten, dass auch dieses Verhalten zu einer Kultur führt, die in ihrer Ausrichtung durch eine passiv-rückwärtsgewandte, starre, autoritär-separierende („Einzelkämpfer“) Ausprägung geprägt und damit nicht erfolgsfördernd ist. Vergleicht man „kulturprofessionelle“ Praxisbetriebe mit den übrigen, zeigt sich, dass die Praxiskultur nicht nur die Qualität der Patientenversorgung, d.h. die medizinische Kernleistung, beeinflusst, sondern auch das wirtschaftliche Ergebnis, aber auch Arbeitsmotivation, Produktivtät und Effizienz. Das haben Praxisinhaber der nachwachsenden Mediziner-Generation erkannt und setzen auf dieses Konzept.
Kultur-Diskrepanzen führen zu unproduktiver Kollaboration
Gleichzeitig kommunizieren Praxisinhaber nach außen aber eine Kultur-Impression, primär durch die Darstellung ihrer Belegschaften als Teams. Diese Zusammenarbeits-Form ist durch gemeinsame Ziele, eine weitgehend autonome Aufgabenerledigung, gegenseitige Ergänzung und Unterstützung sowie durch eine Selbststeuerung zur Lösung von Problemen und eigeninitiativ entwickelte Maßnahmen zur Verbesserung des Arbeitsergebnisses charakterisiert.
Praxisanalysen belegen jedoch, dass in Arztpraxen Gruppen arbeiten. Zusammenarbeit dieser Kategorie ist durch eine geringe Synergie der Einzelaktivitäten geprägt: man arbeitet miteinander, aber immer nur in dem Rahmen, der vorgegeben ist. Eigeninitiative oder ein Aushelfen bei Problemen sind eher selten. Die Zusammenarbeit ist zudem häufig durch ungelöste Konflikte geprägt. Zwar strebt jede Medizinische Fachangestellte danach, ihre Aufgaben gut zu erledigen, ein nachhaltiges Engagement zu steter Verbesserung existiert jedoch nicht. Ursächlich für diesen Kollaborations-Grad ist das Fehlen einer professionellen Praxiskultur.
Fehlende Praxiskultur führt zu Praxismanagement-Insuffizienz
Der CQS von knapp 35% wirkt sich aber nicht nur ungünstig auf Motivation und Teamwork aus, sondern auch auf das Praxismanagement. Der Begriff bezeichnet die Gesamtheit aller Regelungen. Instrumente, Maßnahmen und Verhaltensweisen,
- die in den Aktionsbereichen Planung, Organisation, Marktforschung, Führung und Zusammenarbeit, Zeit- und Selbstmanagement, Patientenmanagement, Marketing und Finanzmanagement von Arztpraxen aller Fachrichtungen eingesetzt werden und
- deren Zusammenwirken den Praxisbetrieb gewährleistet.
Das Praxismanagement fungiert als Transmitter der medizinischen ärztlichen Kompetenz und der Tätigkeiten der Medizinischen Fachangestellten in die konkrete Versorgung der Patienten. Von der Qualität seiner Gestaltung hängt es ab, wie umfassend das Können der Ärzte und die Fähigkeiten des Personals den Patienten in Form umfassender Hilfestellungen zuteilwerden. Ferner bestimmt sie, wie schnell Praxisteams auf Veränderungen jeglicher Art reagieren, diese implementieren und von ihrem Nutzen profitieren können (Beispiel: Digitalisierung).
Ein reibungslos funktionierendes Praxismanagement basiert dabei auf dem systematischen Einsatz betriebswirtschaftlicher Methoden, Instrumente und Management-Verhaltensweisen, die gewährleisten, dass interne und externe Anforderungen an die Praxisarbeit erfüllt werden. Auch ihre Grundlage ist die Praxiskultur.
Ist das Praxismanagement nicht geeignet, den Praxisbetrieb so zu gestalten, dass er den Anforderungen des Arbeitsalltages gerecht wird und grundsätzlich reibungslos funktioniert, spricht man von Praxismanagement-Insuffizienz (PMI). Grund für ihr Auftreten ist, dass
- die Auswahl der getroffenen Vorkehrungen und realisierten Maßnahmen unvollständig und / oder falsch bzw.
- ihre Umsetzung unzureichend und / oder fehlerhaft ist.
Hierdurch entsteht ein Vakuum, denn interne und externe Anforderungen an die Praxisarbeit werden nicht adäquat erfüllt.
Was Medizinischen Fachangestellten praxiskulturell fehlt
Ein Rückgriff auf die Resultate aus Mitarbeiterbefragungen ermöglicht es, fehlende Aspekte der Praxiskultur zu identifizieren, die Teamwork und Zusammenarbeit beeinträchtigen. Hierzu zählen u. a.:
- Fehlende Praxis- und Arbeitsziele
- Unzureichende Kompetenz-Regelungen
- Zu wenig Freiraum für eigenständiges Handeln
- Unklare Regeln der Zusammenarbeit
- Ausbleibende Hilfestellung bei notwendigen Konfliktlösungen
- Ungleichbehandlung
- Zu geringe Entscheidungs-Eindeutigkeit
- Zu wenig interne Kommunikation
- Keine Förderung und Entwicklung von Fähigkeiten
- Ausbleibende Anerkennung
- Mangelnde Akzeptanz von Verbesserungsvorschlägen
- Ausbleibende Solidarität der Praxisinhaber mit ihren MFA bei eigentlich unerfüllbaren Patientenanforderungen
- Tadel im Beisein von Patienten
- „Moody Doctors“
Fehlende Unternehmenskultur beeinflusst die Arbeitsqualität im MVZ, Zentren und Großpraxen
Mit der Größe eines Unternehmens steigt auch die Bedeutung einer tragfähigen Unternehmenskultur. Bereits seit einiger Zeit lässt sich in der ambulanten Medizin ein Trend zu größeren Betriebseinheiten ausmachen. Viele von ihnen weisen in der Außendarstellung auch Deskriptionen ihrer kulturellen Ansätze aus, Unternehmensanalysen zeigen aber häufig eine fehlende oder falsche betriebsinterne Umsetzung, die dazu führt, dass die durch den Größeneffekt eigentlich erzielbaren Vorteile nicht aktivierbar sind.
Ebenso wird natürlich auch die Leistungsfähigkeit von Arztnetzen durch die praxiskulturelle Ausstattung und Realisierung beeinflusst.
Mithilfe der Praxiskultur zu Zukunfts-Agilität
Im Zuge der Entwicklungen des Gesundheitswesens wird die Praxiskultur zukünftig an Bedeutung gewinnen. Ein bislang noch kleiner Anteil der Ärzteschaft hat das erkannt und entwickelt entsprechende Ansätze, die ihnen helfen, nicht nur die Teamarbeit als Führungsprinzip zu optimieren, sondern vor allem auch die Agilität ihres Praxismanagements: war das gesundheitspolitische, medizinische, gesellschaftliche und unternehmerische Handlungsumfeld von Haus- und Fachärzten bislang durch relative Konstanz und Vorhersehbarkeit geprägt, sehen sich Mediziner nun mit Veränderungen konfrontiert, die zu Unbeständigkeit und Desorientierung führen und denen mit den bisherigen, meist statisch angelegten Praxisführungs-Konzepten nicht adäquat begegnet werden kann. Die Lösung dieses Problems, das zukünftig deutlich an Intensität zunehmen wird, ist ein agiles Praxismanagement. Welchen Nutzen es bringt und wie man es umsetzt, beschreibt das Buch „Agiles Praxismanagement für Haus- und Fachärzte“. Zum Inhaltsverzeichnis…