Worum es geht
Die Ergebnisse aus den Mitarbeiterbefragungen unserer Praxismanagement-Betriebsvergleiche belegen, dass in etwa 25 % der deutschen Haus- und Facharztpraxen ein System existiert, das an den mittelalterlichen Pranger erinnert: Die Praxisinhaber tadeln ihre Mitarbeiterinnen bei Fehlern öffentlich vor Kolleginnen und Patienten. Die Anlässe für eine derartige offene Kritik mögen sachlich begründet sein, als Ausführung einer disziplinarischen Maßnahme ist das Vorgehen jedoch vollkommen ungeeignet.
Die Gründe für den Pranger
Manche der Ärzte fühlen sich verpflichtet, aufgrund ihrer Rolle als Chef ihre Autorität betonen zu müssen. Öffentliche Tadel sind vor diesem Hintergrund ein Weg, um diese Autorität sichtbar zu machen und ihre Stellung als Vorgesetzte zu stärken.
Bei anderen führt der hektische Arbeits-Alltag zu Überforderung. In solchen Situationen reagieren sie dann impulsiv und lassen ihre Frustration an den Mitarbeiterinnen aus, ein Ventil ist öffentlicher Tadel.
Aber auch ein Mangel an strukturierter Kommunikation kann dazu führen, dass Ärzte glauben, diese Kritikform sei der einzige Weg, um Fehlverhalten anzusprechen. Das Vorgehen missachtet jedoch vollkommen die Bedeutung und Möglichkeiten konstruktiver Kritik.
Und nicht zuletzt führt ein tief verwurzeltes hierarchisches Denken dazu, dass Praxisinhaber glauben, öffentliches Tadeln sei ein notwendiger und „natürlicher“ Weg, Disziplin zu wahren.
Das Pranger-Verhalten im KPI-Spiegel
Betrachtet man die Key Performance-Indikatoren (KPI) für das Praxismanagement in Praxen mit Pranger-Modus, ergibt sich für den Leadership Materialization Score (LMS), der angibt, in welchem Umfang und in welcher Intensität die Regelungen, Instrumente und Verhaltensweisen des Best Practice-Standards der Personalführung umgesetzt werden, die für jede Praxis unerlässlich sind, im Mittel ein Score von nur 12 % (Optimum: 100%).
Die Mitarbeiter-Gesamtzufriedenheit liegt bei 18 % (Optimum: 100%).
Der Teamwork Quality Score (TQS), der die Grundanforderungen an eine optimal funktionierende Zusammenarbeit in Relation zur Zufriedenheit der Mitarbeiter mit diesen Parametern ausdrückt, ist auf einem Niveau von 16 % angesiedelt. Ein TQS zwischen 0 % und 40 % kennzeichnet den Zweckverbund. Hier ist die Arbeitsleistung durch „Dienst nach Vorschrift“ und „Einzelkämper-Verhalten“ geprägt.
Die negativen Auswirkungen des Prangers
Patienten empfinden derartige Situationen als peinlich, unangemessen oder unangenehm. Viele interpretieren die öffentliche Kritik der Ärzte auch als Hinweis auf ein generell ungesundes Arbeitsklima, was sogar dazu führen kann, dass sie die Praxis wechseln.
Öffentliche Tadel schaffen praxisintern eine Atmosphäre der Angst. Mitarbeiterinnen fühlen sich unsicher und verlieren das Vertrauen in ihren Vorgesetzten. Die Folge: aus Angst vor Fehlern wird die Arbeit durch ständige Selbstkontrolle ineffizient erledigt.
Diese Form der Bloßstellung verursacht durch den Charakter der demütigenden Geringschätzung Demotivation und in der Folge sinkt das Engagement für die Arbeit kontinuierlich. Zudem entstehen Spannungen und Misstrauen unter den Mitarbeiterinnen, was die Arbeitsatmosphäre spürbar verschlechtert.
Nicht verwunderlich ist, dass Mitarbeiterinnen, die sich durch öffentliches Tadeln gedemütigt fühlen, eher geneigt sind, die Praxis zu verlassen. Daraus entsteht eine erhöhte Wechselbereitschaft des Personals, was in der Folge weitere Kosten und zusätzliche Anstrengungen für die Praxis mit sich bringt.
Der Pranger als Kunstfehler der Mitarbeiterführung
Insgesamt ist bei einer kontinuierlich unter Druck stehenden Belegschaft die Qualität der Patientenversorgung deutlich beeinträchtigt. Dies kann so weit gehen, dass Praxen ihren guten Ruf verlieren. Die beschriebenen negativen Auswirkungen zeigen, dass es ein “Kunstfehler” von Praxisinhabern ist, ihre Mitarbeiterinnen an den Pranger zu stellen und kein konstruktives Feedback zu geben. Dieses Versäumnis verhindert eine Vielzahl positiver Auswirkungen auf die Teamdynamik, die Leistung und die Qualität der medizinischen Versorgung:
- Status-Bestimmung: Konstruktives Feedback ermöglicht es den Mitarbeiterinnen, ihre Stärken zu erkennen und an ihren Schwächen zu arbeiten.
- Motivation und Engagement: Mitarbeiterinnen, die regelmäßig Feedback erhalten, fühlen sich wertgeschätzt und motiviert. Ein Mangel an Feedback kann hingegen zu Frustration und Demotivation führen. Konstruktives Feedback zeigt, dass Ärzte sich für die Entwicklung und das Wohlergehen ihrer Mitarbeiterinnen interessieren, was das Engagement im Team stärkt.
- Verbesserung der Teamkommunikation: Feedback fördert auch die offene Kommunikation innerhalb des Teams. Es schafft eine Atmosphäre, in der Mitarbeiterinnen bereit sind, Bedenken anzusprechen, Ideen vorzubringen und Fragen zu stellen. Eine transparente Kommunikation unterstützt das reibungslose Funktionieren des Teams und hilft, Missverständnisse zu vermeiden und insgesamt die Effizienz zu steigern.
- Vermeidung von Fehlern: Konstruktives Feedback dient dazu, Fehler zu identifizieren und zu korrigieren, bevor sie zu schwerwiegenden Problemen werden. Ärzte können ihre Mitarbeiterinnen ermutigen, sich offen über Probleme auszutauschen, um gemeinsam Lösungen zu finden und potenzielle Risiken zu minimieren.
- Steigerung der Patientenzufriedenheit und des Erfolges: Letztlich wirkt sich konstruktives Feedback positiv auf die Qualität der Patientenversorgung und das Betriebsergebnis aus.
Alles, was Haus- und Fachärzte über professionelles Feedback wissen müssen, ist in dem QuickStart-Guide: „Feedback geben: Ein Leitfaden für Haus- und Fachärzte – Best Practices der Gesprächsführung für ein Plus an Leistung, Motivation und Erfolg von Praxis-Teams“ zusammengefasst, einschließlich Formulierungs-Hilfen für die Mitarbeiter-Gespräche. Der Leitfaden ist als E-Book in allen Online-Bookstores erhältlich und als PDF über den IFABS-Shop.
