Ambulante KPI-Phobie: Warum Ärzte Key Performance Indikatoren (KPIs) meiden

„Die Steuerung des Praxismanagements mit Kennziffern ist keine Bürde, sondern die Basis medizinischer Exzellenz.“

Obwohl Key Performance Indikatoren (KPIs) unerlässlich sind, um ein effizientes und wirtschaftlich stabiles Praxismanagement zu gewährleisten, gibt es eine bemerkenswerte Zurückhaltung seitens vieler Ärzte, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Diese Skepsis ist nicht rein sachlich begründet, sondern hat tief verwurzelte psychologische Ursachen. Hier sind die fünf zentralen Gründe, warum Ärzte den Einsatz von KPIs scheuen – und welche psychologischen Mechanismen dahinterstecken.

1 Die Angst vor Kontrollverlust – Das Autonomie-Paradoxon

Viele niedergelassene Ärzte empfinden ihre Praxis als ihr „persönliches Reich“, in dem sie unabhängig und nach eigenem Ermessen agieren können. KPIs jedoch symbolisieren für sie eine Art äußere Kontrolle, die sie in ihrer Autonomie beschränkt.

Psychologische Grundlage: Das Bedürfnis nach Autonomie ist ein Grundpfeiler der Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan). KPIs werden – oft fälschlicherweise – als Bedrohung dieser Autonomie wahrgenommen, da sie eine Transparenz schaffen, die das subjektive Gefühl von Freiheit einschränken könnte. Tatsächlich ermöglichen gut gewählte KPIs jedoch eine informierte Autonomie, indem sie helfen, bessere Entscheidungen auf Basis fundierter Daten zu treffen.

2 Die Vermeidung unangenehmer Wahrheiten – Der Selbstwertschutz

Ein strukturiertes KPI-System zeigt gnadenlos auf, wo Schwachstellen liegen. Viele Ärzte fürchten sich davor, durch Zahlen unmissverständlich vor Augen geführt zu bekommen, dass ihre Praxisabläufe ineffizient sind oder dass finanzielle und organisatorische Defizite bestehen.

Psychologische Grundlage:

Das fällt unter das Konzept der kognitiven Dissonanz (Festinger). Menschen vermeiden Informationen, die ihr positives Selbstbild infrage stellen könnten. Ärzte sehen sich primär als Heiler und nicht als Manager – wenn KPIs aufzeigen, dass ihr Praxismanagement verbesserungswürdig ist, kann das als persönliches Versagen empfunden werden. Anstatt sich dieser Realität zu stellen, wird das Thema KPIs lieber umgangen.

3 Die Unterschätzung wirtschaftlicher Notwendigkeit – Das Fachblindheits-Syndrom

Ärzte haben eine tief verwurzelte Identifikation mit ihrer medizinischen Tätigkeit. Ökonomische oder organisatorische Themen werden oft als sekundär oder gar als „notwendiges Übel“ betrachtet, das nur ablenkt. Die Einführung von KPIs wird daher als betriebswirtschaftlicher Formalismus abgetan, der nicht zur eigentlichen Kernaufgabe – der Patientenversorgung – gehört.

Psychologische Grundlage:

Dieses Verhalten ist mit Selektiver Wahrnehmung erklärbar. Menschen neigen dazu, Informationen auszublenden, die nicht mit ihrem dominanten Selbstbild (in diesem Fall: der Rolle als Mediziner) übereinstimmen. Der Fokus auf medizinische Exzellenz führt dazu, dass wirtschaftliche Steuerung als zweitrangig empfunden wird – obwohl sie in Wahrheit die Grundlage für eine hochwertige Versorgung ist.

4 Die Überforderung durch Datenflut – Die Entscheidungsparalyse

Viele Ärzte haben bereits jetzt das Gefühl, im Praxisalltag mit zu vielen Aufgaben jonglieren zu müssen. Die Vorstellung, sich auch noch mit Kennzahlen, Analysen und Controlling-Mechanismen auseinanderzusetzen, wirkt abschreckend. Das Thema wird als zusätzlicher Ballast wahrgenommen, den man sich lieber erspart.

Psychologische Grundlage:

Hier wirkt der Effekt der Choice Overload (Schwartz). Wenn Menschen zu viele Optionen oder Informationen auf einmal verarbeiten müssen, neigen sie dazu, die Entscheidung hinauszuzögern oder ganz zu vermeiden. Besonders, wenn sie sich in einem Gebiet unsicher fühlen – und genau das ist oft der Fall, wenn es um Betriebswirtschaft und KPIs geht. Die Lösung liegt in einer schrittweisen Einführung und einer klaren Reduktion auf die wirklich relevanten KPIs.

5 Die Angst vor zusätzlichen Veränderungen – Das Status-quo-Prinzip

Jede Veränderung im Praxismanagement erfordert eine Umstellung bestehender Abläufe, möglicherweise auch neue Routinen für das gesamte Team. Ärzte befürchten, dass die Einführung von KPIs nicht nur zusätzlichen Aufwand bedeutet, sondern auch Widerstände im Team hervorruft.

Psychologische Grundlage:

Hier wirkt die Status-quo-Bias: Menschen bevorzugen das, was ihnen vertraut ist, selbst wenn objektiv betrachtet eine Veränderung Vorteile bringen würde. Besonders in stressigen Arbeitsumgebungen wird jeder zusätzliche Veränderungsimpuls als Bedrohung der ohnehin fragilen Balance empfunden. Das Festhalten an „bewährten“ (wenn auch ineffizienten) Routinen erscheint sicherer als eine unbekannte Optimierung.

Fazit: Rethinking als Brücke zur Effizienz

Die Zurückhaltung gegenüber KPIs ist kein Zeichen von Unfähigkeit oder Ignoranz, sondern ein zutiefst menschliches Verhalten, das auf psychologische Schutzmechanismen zurückzuführen ist. Ein Umdenken (Rethinking) setzt genau hier an:

  • Statt KPIs als Kontrollinstrument zu sehen, sollten sie als Navigationshilfe verstanden werden, die zu mehr Autonomie führt.
  • Statt unangenehme Wahrheiten zu vermeiden, sollten sie als Wachstumschance genutzt werden.
  • Statt wirtschaftliche Steuerung als lästige Pflicht zu betrachten, sollte sie als Grundvoraussetzung für medizinische Exzellenz akzeptiert werden.
  • Statt sich von Datenflut abschrecken zu lassen, sollte der Fokus auf wenige, wirklich entscheidende KPIs gelegt werden.
  • Statt Veränderung zu fürchten, sollte sie als Schritt in eine effizientere, stressfreiere Zukunft gesehen werden.

Wer KPIs aus psychologischen Barrieren heraus vermeidet, bleibt gefangen in ineffizienten Strukturen. Wer sie als strategisches Werkzeug begreift, kann den Praxisalltag smarter, ruhiger und erfolgreicher gestalten.

Weiterführende Literatur

Thill, K.-D.: Benchmarking des Praxismanagements für Haus- und Fachärzte – Methode, Anwendung und Nutzen, Neobooks, Berlin, 2024 oder als PDF-Skript: https://bit.ly/43qoK9C

Die Publikation beschreibt, wie die KPIs des Praxismanagements mithilfe eines Best Practice-Benchmarkings generiert und genutzt werden können.